Die Elternkammer beschließt in ihrer Sitzung am 12. April 2016:
Die Elternkammer begrüßt, dass Hamburg als eines von wenigen Bundesländern allen geflüchteten Kindern im schulpflichtigen Alter das Recht auf schulische Bildung einräumt.
Insbesondere die Beschulung der Kinder in zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen ist ein guter Ansatz. Da es aktuell in Hamburg noch zu wenige Folgeunterkünfte gibt, müssen die Geflüchteten weit länger, als die geplanten maximal 6 Monate in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden, bevor sie in eine öffentlich-rechtliche Unterkunft umziehen können. Daher ist der Beginn der schulischen Bildung in Hamburg bereits in den Erstaufnahmen der richtige Schritt.
Die Elternkammer versteht die Probleme, die durch die hohe Fluktuation und die Raumknappheit in den Erstaufnahmen zur Zeit verhindern, dass bereits alle Kindern in den Erstaufnahmeeinrichtungen beschult werden, mahnt aber an, dies kurzfristig zu gewährleisten. Das könnte beispielsweise durch das Ausweichen von Lerngruppen in Räumlichkeiten umliegender Schulen ermöglicht werden.
Des Weiteren fordert die Elternkammer eine gleichmäßige Einrichtung von Basis- und internationalen Vorbereitungsklassen (“IV-Klassen”) im gesamten Stadtgebiet. Hierbei müssen zwei Anforderungen abgewogen werden:
1. kurze Beine kurze Wege
Besonders für die Kinder im Grundschulalter ist eine Beschulung in unmittelbarer Nähe zu ihren Unterkünften zu ermöglichen.
2. Eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Basis und IV-Klassen im gesamten Stadtgebiet
Um die Chancen auf eine gelungene Integration zu erhöhen, sieht es die Elternkammer als erforderlich an, Basis und IV-Klassen gleichmäßig im gesamten Stadtgebiet, d.h. an allen allgemeinbildenden Schulen einzurichten. Die Kammer begrüßt die Absicht des Senators, dass auf vier Regelklassen nicht mehr als eine Basis- oder IV-Klassen eingerichtet werden soll. In Abwägung mit der ersten Forderung bedeutet dies, dass ältere Schüler (ab Klasse 5) unter Umständen einen weiteren Schulweg in Kauf nehmen müssen.
Aktuell laufen die IV Klassen an verschiedenen Standorten stark unterfrequent. An dieser Stelle muss der Prozess der Zuweisung im Sinne der SchülerInnen deutlich verbessert werden.
Die Einrichtung eines “Flüchtlingsreferats” in der Schulbehörde wird begrüßt, insbesondere die Verteilung der Flüchtlingskinder auf Basis- und IV-Klassen leistet einen wichtigen Beitrag zur Vorbereitung des Übergangs in das Regelschulsystem.
Wir mahnen jedoch an, zeitnah über den Prozess dieses Übergangs intensiv nachzudenken. Die Elternkammer sieht hierbei folgende Probleme:
- Im Gegensatz zu den üblichen Anmelderunden, in denen die Kinder einmal im Jahr in die Eingangsklassen 1 und 5 übergehen, werden die Kinder aus Basis und IV-Klassen unterjährig in die Regelklassen wechseln. Dieses neue Verfahren ist bisher nur für Schulwechsler und Umzügler angewendet worden. Offen ist, wie gut die Schulen organisatorisch für die unterjährigen Wechsel in allen Jahrgängen vorbereitet sind (Schulbüros, Klassenfrequenzen, Kommunikation mit Eltern und Schülern).
- Nur an Grundschulen mit ausreichender Kapazität, könnte der Übergang am ehesten gelingen, da zu erwarten ist, dass die Kinder aus den Basis- und IV-Klassen in der großen Mehrheit am Standort verbleiben werden. Es muss allerdings sichergestellt sein, das dadurch die Klassen nicht überfrequent laufen oder bestehende Klassenverbände neu zusammengesetzt werden. Eine Integration kann hier bereits vor dem eigentlichen Wechsel in die Regelklasse erfolgen (z.B. durch gemeinsamen Musik- oder Sportunterricht).
- An Stadtteilschulen sind aus Sicht der Kammer hingegen größere Herausforderungen zu erwarten. Auch wenn gemäß Anforderung 2 einige IV-Klassen an Gymnasien eingerichtet werden, ist zu erwarten, dass aus diesen Klassen nur wenige Kinder den Übergang in die gymnasiale Schullaufbahn schaffen. Das heißt, dass diese Kinder nach einem Jahr IVK-Besuch hauptsächlich in die Regelklassen der Stadtteilschulen übergehen werden. Dies bedeutet für diese Kinder einen Standortwechsel, der bereits für deutsche Kinder (Übergang 6->7) nicht einfach zu meistern ist. Die Kammer fordert die Schulbehörde auf, hierfür gesonderte Prozesse zu definieren und für eine enge Begleitung der betroffenen Kinder und Eltern zu sorgen.
- Gleiches gilt für die IV-Klassen, die nicht jahrgangsgerecht am Schulstandort untergebracht sind zum Beispiel IVK 5-10 an Grundschulstandorten.
- Es ist aktuell völlig offen, wie die Behörde die bisher geltenden Klassenfrequenzen einhalten kann, wenn unterjährig Kinder aus IV-Klassen in die Regelklassen aufgenommen werden müssen. Für die Kammer ist weder eine grundsätzlich unterfrequente Einrichtung von Eingangsklassen (Klassenstufen 1 und 5), noch eine regelmäßige überfrequente Klassenstärke denkbar. Ob die bereits üblichen Fluktuationen durch Umzüge genügend Plätze für die geflüchteten Kinder schaffen, erscheint uns mehr als zweifelhaft.
- Der aktuell gültige Schulentwicklungsplan ist ohne den Zuzug von mehreren zehntausend Geflüchteten erstellt worden. Eine Überarbeitung hinsichtlich der Raumkapazitäten und der Zügigkeit aller Regelschulen (Grund- und weiterführenden Schulen) erscheint der Kammer dringend erforderlich siehe Beschluss 648-04. Ansonsten sieht die Kammer die Gefahr, dass das aktuelle Bauprogramm an den Hamburger Schulen am Bedarf vorbei läuft, und teure Nachjustierungen erforderlich werden. Auch sollte aufgrund der aktuellen Raumknappheit darüber nachgedacht werden, den Unterricht für IV-Klassen auf den Vor- und Nachmittag aufzuteilen. Dieses System wird schon seit Jahrzehnten im europäischen Raum praktiziert.
- Viele Kinder gehen mit deutlich erkennbaren Lernrückständen von den IV-Klassen in die Regelklassen über. Hier wäre eine Neuregelung denkbar, dass die Kinder im Anschluss an die IVK ein sogenanntes duales Schuljahr durchlaufen. Dabei werden Kinder nach der IVK ein Jahr zurückgestuft (z.B. IVK 4 in Regelklasse 3) und nehmen in der Regelklasse am Kernunterricht + Sport teil. Während der übrigen Unterrichtsstunden erhalten die Kinder gesonderte Förderung, um die individuellen Lernrückstände aufzuholen. Dies erfolgt ebenfalls für ein Jahr unabhängig vom Schuljahr. Dieses gilt insbesondere auch für die geflüchteten SchülerInnen, die kurz vor den Abschlüssen zum ESA und MSA stehen.
Bereits im Vorschulalter, wie auch in allen anderen Altersstufen sollte die Sprach- und Wertevermittlung im Vordergrund stehen. Das LI bietet für IVK-Lehrer zu diesem Thema Fortbildungen an: Wir denken jedoch, dass die Wertevermittlung vor allem im Klassenverband der Regelklasse den gewünschten Erfolg erzielen wird, sodass außer Frage steht, dass alle SchülerInnen verbindlich und regelmäßig in dieser Sozialkompetenz geübt werden müssen.
Die Mittel für Kulturmittler müssten aufgestockt werden, da das meiste Geld für das Dolmetschen durch ebendiese ausgegeben wird und nicht für das Brückenschlagen zwischen den Kulturen. Idealerweise sollte jeder Schule mit IV-Klassen pauschal ein Kulturmittler zugewiesen werden.
Wir als Elternkammer sind stolz darauf, dass Hamburg, das Tor zur Welt, vorbildhaft für ganz Deutschland diese Aufgabe ernst nimmt und kontinuierlich nach Wegen sucht, um den schutzsuchenden Kindern und Jugendlichen, den bestmöglichen Weg in eine gesicherte Zukunft zu ermöglichen.