Die Online-Umfrage der Elternkammer und anderweitig vorliegende Daten aus den Schulbezirken zeigen deutlich, dass der Fernunterricht, so wie er für Hamburger Schüler*innen (S&S) angeboten wird, erhebliche Schwachstellen aufweist. Auch wenn die Ergebnisse der Befragung darunter leiden, dass sie vor allem die Situation in gymnasialen Strukturen, mehrheitlich an den Standorten mit einem hohen Sozialindex, vor allem in Stadtteilen mit einem höheren Lebensstandard widerspiegeln und alle Eltern ohne Onlineverbindung zur Kammer ganz außen vor lassen, so zeigen sie doch genug negative Erkenntnisse auf.
Die Elternkammer leitet aus der Online-Umfrage unter mehr als 22.000 Eltern in einem ersten Schritt folgendes ab:
Benotungen, die im Rahmen der Fernbeschulung erteilt wurden und werden, dürfen keine nachteiligen Auswirkungen auf Abschlüsse oder Versetzungen der Schüler*innen haben.
- Nicht alle S&S erhalten Arbeitsmaterialien und Aufträge in allen Fächern durch ihre Lehrkräfte. 14 % der Familien geben an, dass sie nicht über genügend technische Geräte für das Lernen zu Hause verfügen. Knapp 30 % der Eltern beklagen, dass die Lehrkräfte keinen ausreichenden Kontakt zu ihren S&S halten. Pädagogische Betreuung (oder gar Unterricht) durch Videokonferenzen oder Telefongespräche finden nicht regelhaft und für alle S&S statt.
- Darüber hinaus gibt die Hälfte aller Eltern an, dass sie ihr Kind stärker als normalerweise unterstützen muss. Und auch nur die Hälfte aller S&S erledigen die ihnen gestellten Aufgaben im Wesentlichen selbstständig. Viele S&S sind also nach wie vor bei der Strukturierung und Durchführung der gestellten Aufgaben auf die Unterstützung Dritter, hier meist ihrer Eltern, angewiesen.
Wie mag es da erst um den Teil der Schülerschaft aussehen, deren Familien gar nicht erreicht wurden und überhaupt nicht geantwortet haben?
Damit ist das Hamburger Schulwesen z. Zt. nicht wie in § 3 III Hamburgisches Schulgesetz festgelegt, auf den Ausgleich von Benachteiligungen und auf die Verwirklichung von Chancengerechtigkeit ausgerichtet. Vielmehr richten sich z. Zt. die Erfolgsaussichten im Bildungsprozess zum einen danach, ob die betreffenden Lehrkräfte kompetent fernbeschulen können (was niemals Teil der Lehrerbildung war). Zum anderen ist der Lernerfolg sehr viel stärker als bisher von den häuslichen Gegebenheiten abhängig und entzieht sich weitestgehend der schulischen Aufsicht.
Dass inzwischen diese Erkenntnis in anderen Bundesländern (z.B. Thüringen) dort auch von den Regierungen umgesetzt wird, ermutigt die Hamburger Eltern. Sie sehen sich aber auch durch die Hamburger gesetzlichen Vorgaben bestätigt, die das Zusammenleben in Schule und Bildungseinrichtungen regeln. Ein Blick auf nachfolgenden Paragraphen des Schulgesetzes und den Bildungsplänen, belegen die Berechtigung und die Forderungen der Elternschaft. Gehen die gesetzlichen Grundlagen doch davon aus, dass Unterricht eine wesentliche Grundlage von Schule ist:
- Der Bildungsplan Gymnasium Sekundarstufe I, Allgemeiner Teil 1.1 besagt. „[…] Das Gymnasium bietet Schülerinnen und Schülern ein anregendes Lernmilieu in entsprechend gestalteten Räumen, in dem sie ihr individuelles Lernpotenzial im Rahmen gemeinschaftlichen Lernens optimal entwickeln […]“. Es wird hier explizit von schulischen Räumen gesprochen.
- In Absatz 1.4 der Bildungspläne wird auf die Benotung wie folgt hingewiesen: „Leistungsbewertung ist eine pädagogische Aufgabe. Sie gibt den […] am Unterricht Beteiligten Aufschluss über Lernerfolge und Lerndefizite: Die Schülerinnen und Schüler erhalten die Möglichkeit, ihre Leistung und Fortschritte vor dem Hintergrund der im Unterricht angestrebten Ziele einzuschätzen.
Z. Zt. findet jedoch weitestgehend kein Unterricht statt. Er wird fast vollständig von allein zu bearbeitenden Aufgaben ohne hinreichende pädagogisch-didaktische Betreuung ersetzt. Damit wird der Unterricht in die Nähe von Hausaufgaben gerückt, stellen diese laut Bildungsplan (Abschnitt 1.2) jedoch nur „[…] eine sinnvolle Ergänzung des Lernens im Unterricht dar und dienen der individuellen Vorbereitung, Einübung und Vertiefung unterrichtlicher Inhalte. Dies setzt zum einen voraus, dass Schülerinnen und Schüler die Aufgaben in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht selbständig, also in insbesondere ohne häusliche Hilfestellung, erledigen können. Zum anderen müssen sich die zu erledigenden Aufgaben aus dem Unterricht ergeben und die erledigten Hausaufgaben wieder in den Unterricht eingebunden werden […].“.
Damit wird von den S&S sogar noch mehr verlangt als vorgesehen. Hausaufgaben sollen eigentlich nur der Vertiefung und nicht dem Erarbeiteten von Wissen dienen.
Um die Bedingungen für S&S in der Fernbeschulung wenigstens etwas anzugleichen, möge die Schulbehörde gemeinsam mit den Schulleitungen Fernbeschulung allgemeingültige Standards zur entwickeln.
- Es müssen in geeigneter Weise Aufgabenstellungen und Lernhinweise für diese besonderen Bedingungen konzipiert und den S&S zur Verfügung gestellt werden.
- Der Umfang der Aufgaben muss zwischen der Klassenleitung und allen unterrichtenden Lehrkräften abgestimmt sein, um ein angemessenes und altersgerechtes Aufgabenpensum zu gewährleisten.
- Bei der Erteilung der Aufgaben und der Bereitstellung der Materialien, soll das Prinzip der individuellen Förderung nicht außer Acht gelassen werden. Dies schließt ebenfalls den sonderpädagogischen oder pädagogischen Förderbedarf (§12), sowie die Sprachförderung nach den §§ 28a, 28b. ein.
- Es muss sichergestellt sein, dass die Schülerschaft über einen ausreichenden digitalen Zugriff verfügt. S&S müssen bei Bedarf, entsprechende Hard- und Software zur Verfügung gestellt bekommen.
- Es muss nachhaltig die Interaktion zwischen den Lehrkräften und der Schülerschaft sichergestellt werden. Diese sollen täglich zwischen der Klassenleitung und Schülerschaft in persönlicher Form, mittels Telefonate, Videochats, Online-Meetings, Konferenzen etc. erfolgen. Ebenfalls muss diese Regelung auf die jeweiligen Fachlehrer*innen angewendet werden. Gegenwärtig wird eine wöchentliche Kontaktaufnahme vorerst als ausreichend gesehen.
- Alle Fernunterrichtskanäle müssen datenschutzkonform unter Einbeziehung/Beratung des Hamburger Datenschutzbeauftragten abgestimmt werden. Da es sich hierbei nicht um kurzfristige Lösungen handelt, müssen nachhaltige und datenschutzkonforme Programme (Software) gefunden werden.
- Für S&S, die das hohe Maß an Selbstständigkeit und Eigenmotivation nicht aufbringen können, um von der Fernbeschulung zu profitieren (und deren Sorgeberechtigte das nicht ausgleichen können), müssen Präsenzangebote geschaffen werden.
- Ein für die S&S-Seite unplanbares, unvorbereitetes, überraschendes und ohne Präsenzmodule aufgebautes Notensystem, kann weder gerecht noch nachweislich sein. Die Elternkammer lehnt ein solches Vorgehen ab.
Rückfragen der Medien
Elternkammer Hamburg
Hülya Melic
E-Mail: h.melic@elternkammer-hamburg.de
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